Das Meer – eine geheimnisvolle Schatzkammer

Schatzkammer Meer

70 Prozent – und warum wir kaum etwas wissen

70 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt, 70 Prozent des atmosphärischen Sauerstoffs werden von der Wasserflora produziert und 70 Prozent der Weltbevölkerung leben in Küstenregionen. Das Meer ist also nicht nur eines der wichtigsten Ökosysteme der Erde, sondern spielt eine entscheidende Rolle im Leben vieler Menschen, die am Meer entspannen, leben und arbeiten. Es erscheint deshalb geradezu absurd, dass wir über den Ozean, die „blaue Lunge“ unseres Planeten, weniger wissen als über den Mond. So sind die rund 300 Millionen Quadratkilometer Ozeanboden nur unzureichend kartiert und von der Tiefsee, so sagen Schätzungen, sollen nur sogar 5 Prozent wirklich erforscht sein. Was dabei unter die Tiefsee fällt, ist nicht einheitlich geklärt. Häufig spricht man ab einer Wassertiefe von 200 Metern, also dort wo die Übergangszone zwischen Kontinentalrand und Kontinentalhang beginnt, von der Tiefsee. Dieser Definition nach macht die Tiefsee 88 Prozent des Ozeans aus – und damit den Großteil unseres Planeten.

Die Gründe für die große Unwissenheit über unseren eigenen Planeten sind vielfältig. Zunächst herrschen in den Tiefen des Ozeans weitestgehend menschenfeindliche Bedingungen: Gleichbleibend kalte Temperaturen zwischen 1 – 4 °C, kaum bis gar kein Sonnenlicht, enorm hohe Drücke und ein korrosives, salzhaltiges Milieu machen Mensch und Maschine das Leben schwer. Zudem besitzen die meisten Länder kaum tiefseetaugliche U-Boote oder andere Gerätschaften, um Proben unversehrt aus der Tiefe hervorzuholen, und die Kosten für derartige Einsätze sind dementsprechend hoch. Und wie in so vielen Bereichen der Wissenschaft sind Forschungsgelder rar gesät. Nur wenige Institute (darunter z. B. das GEOMAR in unserer Heimat Kiel) verfügen über ausreichend Ressourcen, um Forschungsschiffe, Unterseeboote und Tauchroboter zu unterhalten.

Tauchroboter ROV KIEL 6000

Der ferngesteuerte Tauchroboter ROV KIEL 6000, hier bei einer Expedition im Indischen Ozean, schafft eine Tauchtiefe von 6000 m.

Außerdem ist insbesondere die Tiefseeforschung eine verhältnismäßig junge Wissenschaft, die moderne computergestützte Methoden und Technologien erfordert. Im 19. Jahrhundert ging man sogar davon aus, dass die Tiefsee völlig unbelebt sei, weil man ab einer gewissen Wassertiefe mit früheren Methoden (vor allem mit Netzen) schlicht keine Tiere mehr nachweisen konnte. Heute wissen wir, dass sich die Tiefsee durch eine unglaubliche und weitestgehend unerforschte Artenvielfalt auszeichnet, die mit den Regenwäldern durchaus mithalten kann. Und auch in flacheren Gewässern, nur wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche, ist das Meer mit vielen unerforschten Arten noch voller Geheimnisse – vorausgesetzt, dass wir überhaupt von ihnen wissen.

Warum der Ozean es wert ist, erforscht zu werden

Obwohl ein tieferes Verständnis des Ozeans als Ökosystem, vor allem vor dem Hintergrund von Überfischung, Vermüllung und Klimawandel, Grund genug sein sollte, die Meeresforschung weiter voranzutreiben, darf ein ganz entscheidender Grund nicht vergessen werden: Das Meer ist eine Schatzkammer reich an natürlichen Ressourcen.

Da das Leben aus dem Meer stammt, hatte es dort wesentlich mehr Zeit (2,7 Milliarden Jahre), sich durch geschickte Formen und Funktionen an widrige Lebensbedingungen anzupassen. Wir finden deshalb im Meer viele biologische Prozesse und Moleküle, die wir an Land nicht finden. So verfügt ein Organismus, der bei 4 °C noch wachsen kann, möglicherweise über ein Enzymrepertoire, mit dem energieintensive chemische Prozesse bei viel niedrigeren Temperaturen durchgeführt werden können. In gleicher Weise verfügen Algen, denen permanent der Bewuchs durch Mikro- und Makroorganismen droht, über interessante antibiotisch wirksame Moleküle, die in der Landwirtschaft oder sogar in der Medizin zum Einsatz kommen könnten.
Hinzu kommt, dass das Milieu im Meer dem eines Menschen in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich ist: Auch der Mensch besteht überwiegend aus Wasser und die Komposition an Salzen und Spurenelementen von Meerwasser ist mit menschlichem Blutplasma nahezu deckungsgleich. Ein Stoff, der eine biologische Funktion im Meer erfüllt, schafft dies also potentiell auch in einer medizinischen oder kosmetischen Anwendung. Bisher befinden sich weltweit 13 marine Pharmazeutika in der Zulassung, darunter z. B. der Arzneistoff Ziconotid, welcher aus dem Gift einer Kegelschnecke isoliert wurde, sowie das Krebsmedikament Trabectedin aus der Seescheide Ecteinascidia turbinata. Dabei werden diese Stoffe für die Vermarktung nicht aus den betreffenden Organismen selbst extrahiert. Sie dienten lediglich als Vorlage für eine synthetische oder biotechnologische Herstellung, so dass Raubbau an der Natur vermieden und das Ökosystem geschont werden kann.

Wie CRM und oceanBASIS den Kreis durchbrechen

Diese und viele weitere Beispiele führen uns immer wieder vor Augen, dass das Meer eine faszinierende biologische und chemische Diversität aufweist. Es fehlten bisher lediglich die Ressourcen, diese in einem ökologischen Kontext zu erforschen und dann der Menschheit zugänglich zu machen – sei es für Nahrungsmittel, Kosmetik, industrielle Prozesse oder Pharmazeutika. Die Erforschung der Meere wurde lange Zeit öffentlich finanzierten Instituten überlassen, die mit ihren knappen Geldmitteln vor allem Grundlagenforschung betrieben. Interesse an der Meeresforschung durch die Privatwirtschaft bestand kaum. Heutzutage tragen unter anderem Coastal Research & Management (CRM) und oceanBASIS als privatwirtschaftliche Unternehmen in vielen angewandten Forschungsprojekten zur wirtschaftlichen Verwertung der marinen Ressourcen bei und setzen somit, auch als Projektpartner von Universitäten und öffentlichen Instituten, völlig neue Anreize für die Meeresforschung. Ein Paradebeispiel dafür ist unser gerade angelaufenes Projekt REA, bei dem in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Schleswig-Holstein und der Hochschule Bremen verschiedenste Enzyme für diagnostische und lebensmitteltechnologische Anwendungen aus heimischen Algenarten extrahiert werden sollen. Dabei haben wir uns selbstverständlich auch dem Schutz der Meere verschrieben, so dass diese natürlichen Schätze nicht nur erforscht und vermarktet werden, sondern auch nachfolgenden Generationen erhalten bleiben.

Bildnachweis:
Titelfoto: Alexandra Rose on Unsplash
Tauchroboter: ROV-Team/GEOMAR (CC-BY 4.0, Bilddatenbank des GEOMAR)

Weiterführende Artikel:
Quarks (Christina Schmidt; 2019): Geheimnisvolle Abgründe – Darum wissen wir von der Tiefsee weniger als vom Mond.
Schweriner Volkszeitung (2016): Schatzkammer Meer.
Midwestern University (2020): Marine Pharmacology – Clinical Pipeline.
Oceanblog-Artikel (2017): Meer Fakten
Oceanblog-Artikel (2020): Innovationsraum „Bioökonomie auf marinen Standorten (BaMS)“.

5 Kommentare
  1. Helga Bernhardt
    Helga Bernhardt sagte:

    Der aufschlussreiche, hoch interessante Bericht stimmt mich nachdenklich. Vielleicht muss, wenn die „Forschung unter Wasser“ weitere, noch ungeahnte Möglichkeiten zu Tage fördert, die Entstehungsgeschichte der Erde/Menschen neu geschrieben werden.

    Antworten
  2. Sandy Miehling
    Sandy Miehling sagte:

    Es gibt wirklich viel zu erforschen und vom Meer zu lernen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Ich bin gespannt, was die künftigen Erkundungen bringen werden.

    Antworten
  3. ONMA
    ONMA sagte:

    Hallo Timo,
    vielen Dank für diesen tollen Beitrag.
    Die Tiefen des Meeres sind wirklich beeindruckend.
    Ich freue mich darauf weitere Artikel von dir zu lesen.
    LG aus Hannover,
    ONMA

    Antworten

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert