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Eutrophierung – ein „wicked problem“ des Umweltschutzes

Es gibt Probleme im Umweltschutz, die sich vergleichsweise leicht lösen lassen. Meist braucht es zwar eine Menge Engagement, wissenschaftliche Forschung und politischen Willen, aber am Ende wird das Problem angegangen und es kommt wirklich zu einer Verbesserung. Und dann gibt es Probleme, die so vielschichtig sind und von so vielen Faktoren abhängen, dass es fast unmöglich scheint, sie zu lösen, sogenannte „wicked problems“ (deutsch: „böse Probleme“). In diese Kategorie von Problemen fällt z. B. die Eutrophierung.

Was ist eigentlich Eutrophierung?

Als Eutrophierung oder Überdüngung bezeichnet man den Fakt, dass viele natürliche Lebensräume unserer Landschaft, z. B Seen, Wälder und Meere, mittlerweile zu viele Nährstoffe enthalten. Nährstoffe, vor allem Phosphor und Stickstoff, sind für das Pflanzenwachstum notwendig. Deshalb werden sie in Form von Dünger auf die Felder ausgebracht (Titelbild), um das Wachstum der Nutzpflanzen zu steigern. Über die Luft, die über die Felder weht und kleine Partikel mit sich nimmt, und das Wasser, das von den Feldern in die umgebende Landschaft fließt, gelangen aber auch viele Nährstoffe in die Umgebung. Die dort wachsenden wilden Pflanzen (und in Gewässern auch Algen) benötigen meist gar nicht so hohe Nährstoffmengen. Durch die Nährstoffe aus den landwirtschaftlichen Flächen werden diese natürlichen Flächen entsprechend überdüngt oder „eutrophiert“. Meist werden die eigentlich in den Flächen heimischen Pflanzen dann durch andere Arten, die besser mit höheren Nährstoffmengen klarkommen, verdrängt. Es kommt aber auch noch zu vielen anderen, teilweise extrem problematischen Verschiebungen im Ökosystem.

Überdüngung in der Ostsee

Ein Lebensraum, der besonders stark von Eutrophierung betroffen ist, ist die Ostsee. Das liegt daran, dass hier über die Flüsse sehr viele Nährstoffe aus den landwirtschaftlichen Flächen landen. Dadurch wachsen mikroskopisch kleine Algen viel stärker als gewöhnlich. Manche dieser Algen sind giftig („Blaualgen“), weshalb es bei besonders starkem Wachstum zu Badeverboten an Ostseestränden kommt. Später sinken die Algen auf den Meeresgrund und verrotten dort. Dabei wird Sauerstoff verbraucht. Durch diesen Prozess entstehen am Meeresgrund große Bereiche ohne Sauerstoff, in denen kaum noch ein Tier leben kann, sogenannte tote Zonen. Die Fläche der toten Zonen hat sich in den letzten Jahrzehnten mit zunehmender Nährstoffmenge in der Ostsee stetig vergrößert (1). Diese toten Zonen haben mit dazu beigetragen, dass es in der Ostsee z. B. kaum noch Dorsche gibt(2).

Zum zweiten großen Problem der Ostsee, der Überfischung, findest Du hier einen eigenen Beitrag:
Die Fragilität der Meere erklärt anhand der Dorsche in der Ostsee

Warum ist Eutrophierung ein „wicked problem“?

Um die Eutrophierung der Ostsee zu beheben, muss sowohl der Eintrag von Nährstoffen aus landwirtschaftlichen Flächen verringert bzw. gestoppt werden, als auch die bisher schon in die Ostsee eingetragenen Nährstoffmengen wieder aus dem Gewässer entfernt werden. Beides ist extrem komplex und nicht durch einfache Maßnahmen regelbar, also ein „wicked problem“. Ich werde hier auf beide Punkte kurz eingehen:

1) Den Nährstoffeintrag aus landwirtschaftlichen Flächen verringern

Die Ursache der Überdüngung der Ostsee liegt oft weit vom Ort der Wirkung selbst entfernt. Zum Beispiel kann der Dünger, der auf einer Fläche in Ostdeutschland oder Südpolen ausgebracht wurde, über die Oder in der Ostsee landen und dort zur Überdüngung beitragen. Schon seit längerem wird deshalb auf europäischer Ebene und auch auf Ebene der Ostseeanrainerstaaten versucht, diesem Problem auf gesetzlicher Ebene zu begegnen(3). Die Mengen an Dünger, die ein Landwirt pro Hektar ausbringen darf sind z. B. stark reglementiert(4). Gleichzeitig wird versucht durch die Bepflanzung von Gewässerrändern („Gewässerrandstreifen“) zu verhindern, dass der Dünger vom Feld in die Gewässer gespült wird (Abb. 2).

Randstreifen

Ein Gewässerrandstreifen (hier rechts und links des Gewässers) verhindert mithilfe der dort vorhandenen Vegetation, dass von den benachbarten Agrarflächen (in dem Fall einer Weide) viele Nährstoffe ins Gewässer gelangen.

Die gesetzlichen Düngemittelverordnungen sind in der Landwirtschaft stark umstritten und leider auch mit hohem bürokratischem Aufwand für die Betriebe verbunden. Hierzu muss man die Gesamtsituation unserer Landwirtschaft betrachten: Sie steht in einem internationalen Konkurrenzkampf der, vor allem angesichts des hierzulande hohen Lohnniveaus, für unsere Landwirte schwer zu führen ist. Wenn vom Gesetzgeber ein niedrigerer Düngemitteleinsatz vorgeschrieben wird, sorgt das für niedrigere Erträge und damit für höhere Preise der Produkte. Die Verbraucher müssen dann bereit sein, diese höheren Kosten entweder über höhere Preise an der Ladentheke zu tragen, oder über höhere Steuern in Form von Subventionen an die Landwirtschaft mitzufinanzieren. Gleichzeitig stehen die Produkte im Laden in Konkurrenz mit billigeren Produkten aus dem (auch nicht-europäischen) Ausland. Die Reduzierung des Düngemitteleinsatzes ist also ein ständiges Ringen, denn die Landwirtschaft soll sowohl umweltverträglich als auch konkurrenzfähig sein. Hier ist es aus meiner Sicht vor allem an uns Verbrauchern, die Bereitschaft zu haben gutes Geld für gute, lokal produzierte und umweltverträgliche Produkte zu bezahlen. Etwas verkürzt könnte man sich folgende Frage stellen: Bin ich bereit, mehr für ein landwirtschaftliches Produkt auszugeben (oder höhere Steuern zu zahlen) um dazu beizutragen, dass es im Sommer keine Badeverbote an Ostseestränden gibt und die Dorschbestände sich erholen können?

2) Die Entfernung von Nährstoffen, die sich schon in der Ostsee befinden

Der zweite Punkt, die Entfernung von Dünger, der sich bereits in der Ostsee befindet, ist noch komplizierter. Die beiden Hauptkomponenten des Düngers, Stickstoff und Phosphor, unterscheiden sich hierbei, denn während sich der Stickstoff über sehr lange Zeit langsam von selbst aus dem Gewässer entfernt (durch einen Prozess, der Denitrifizierung genannt wird), bleibt der Phosphor, wenn er einmal im Gewässer ist, einfach drin. Um den Phosphor aus dem Gewässer zu bekommen, müsste man z. B. phosphorreiche Ostseesedimente ausbaggern, was bei der Größe des Gewässers nur schwer vorstellbar ist. Es gibt auch die Idee Algen oder Muscheln in der Ostsee zu züchten. Der Phosphor und Stickstoff, der von den Organismen während des Wachstums aus dem Wasser aufgenommen wird, wird bei der Ernte dann aus dem Gewässer entfernt. Allerdings genügen die kleinen Mengen kultivierter Algen- und Muschelbiomasse bei weitem nicht, um die gigantischen Mengen an Phosphor und Stickstoff, die jährlich in die Ostsee gelangen, zu entfernen. Darüber hinaus gibt es tatsächlich kaum Ideen, wie die aktuelle Situation verbessert werden kann. Die Eutrophierung bleibt also ein „wicked problem“.

Prinzip Hoffnung

Allerdings muss an dieser Stelle gesagt werden, dass nach einem Maximum der Eutrophierung Anfang der 90er Jahre mittlerweile schon wieder eine leichte Verbesserung festzustellen ist, zumindest in den Küstengewässern. Das liegt an den Bemühungen zur Reduzierung des Eintrags an Dünger aus der Landwirtschaft, zu denen sich die Anrainerstaaten der Ostsee gemeinsam verpflichtet haben(3). Trotzdem ist hier noch ein sehr weiter Weg zu gehen.

Ermutigend ist für mich folgende Tatsache: Noch vor 100 Jahren wurde menschliches Abwasser (also das aus der Toilette) weltweit ungeklärt in die Gewässer geleitet und verursachte lokal auch große tote Zonen, z. B. noch bis in die 70er Jahre hinein in der Themsemündung nahe London. Dann entschied man sich, das Abwasser in Kläranlagen zu klären, und heute fließt sauberes Wasser aus den Großstädten Europas ins Meer. Ähnliches könnte uns auch mit dem Wasser, das aus landwirtschaftlichen Flächen kommt, gelingen. Vielleicht durch den Einsatz von Pflanzenkläranlagen, d. h. Schilfgebieten oder Weidenwäldern, die das Wasser, das über Entwässerungsgräben aus den Äckern kommt, vor dem Eintritt in die Flüsse klärt. Oder durch schwimmende Kläranlagen in Offshore-Windparks, die den Phosphor aus dem Ostseewasser holen. Beim Thema Überdüngung sind auf jeden Fall kreative Lösungen an sehr vielen Stellen gleichzeitig gefragt.

Zum Schluss: ein paar Umweltprobleme, die in den letzten Jahrzehnten gelöst wurden

Es gibt einige Umweltprobleme, die in den letzten Jahrzehnten tatsächlich gelöst werden konnten, auch wenn sie meist nicht so „wicked“ waren wie die Eutrophierung. Zum Beispiel gab es in den 70er und 80er Jahren ein großes Waldsterben in Deutschland durch sauren Regen (Abb. 3). Dieser entstand durch Schwefeloxide aus Industrieabgasen, die in der Luft und damit im Regen landeten und diesen sauer machten. Vor allem Nadelbäume starben durch den sauren Regen. Die Entwicklung der Technik der Rauchgasentschwefelung und die gesetzliche Verpflichtung, diese Methode an Industrieanlagen einzusetzen, führte schließlich dazu, dass heute saurer Regen kein Problem mehr ist. Das Waldsterben durch sauren Regen ist Geschichte(5).

Kaputte Nadelwälder

Vor allem Nadelwälder starben aufgrund des sauren Regens gegen Ende des 20. Jahrhunderts großflächig ab.

Ein zweites Beispiel: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen viele Raubvogelarten (Seeadler, Wanderfalken etc.) in Deutschland kurz vor dem Aussterben. Das lag an ihrer Bejagung, der illegalen Entnahme ihrer Eier zu Sammelzwecken, aber vor allem daran, dass die Eier während der Brut kaputt gingen. Das wiederum lag an dem Insektizid DDT. Das Insektizid wurde zu dieser Zeit viel in der Landwirtschaft eingesetzt. Die dadurch geschädigten Insekten wurden von kleineren Vögeln gefressen, diese ihrerseits von den Raubvögeln. Dadurch reicherte sich DDT in den Körpern der Raubvögel an(6). Dies hatte den lange Zeit nicht erkannten Effekt, dass ihre Eierschalen dünner wurden. Die Eier zerbrachen während der Brut und die Bestände brachen dramatisch ein. Nach dem Verbot von DDT im Jahr 1972 erholten sich die Bestände der Raubvögel langsam. Heute gibt es, natürlich auch aufgrund weiterer Schutzmaßnahmen, wieder viele Seeadler und Wanderfalken (Abb. 4) in Deutschland(6).

Raubvogel

Wanderfalken sind aufgrund des Verbotes von DDT wieder deutlich häufiger geworden.

Noch ein letztes Beispiel, weil es so schön ist: Der Ausstoß von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs), die in Kühlschränken eingesetzt wurden, sorgte noch bis vor wenigen Jahrzehnten für eine Gefährdung der atmosphärischen Ozonschicht, die das UV-Licht der Sonne abschirmt. Das Ergebnis war das berühmte Ozonloch und die Zunahme der Gefahr von Hautkrebserkrankungen(7). In Scharfenstein in Sachsen wurde 1992 dann der ersten FCKW-freie Kühlschrank von einer kleinen Firma entwickelt (entgegen aller Aussagen der etablierten Konkurrenz, dass das nicht möglich sei) und 1995 wurde die Verwendung von FCKWs schließlich verboten(8). Seitdem hat sich die Ozonschicht wieder weitgehend regeneriert, auch wenn sie heute durch andere Einflüsse erneut gefährdet ist. Auf jeden Fall ist auch das ein Beispiel dafür, dass durch technische Innovation und gesetzliche Steuerung Lösungen möglich sind.

Quellen (abgerufen 12.04.2024):
1) https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.1323156111
2) https://link.springer.com/article/10.1007/s13280-021-01572-4
3) https://helcom.fi/
4) https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%BCngeverordnung
5) https://www.bund-naturschutz.de/wirtschaft-umwelt/wende-beim-waldsterben
6) https://de.wikipedia.org/wiki/Dichlordiphenyltrichlorethan
7) https://www.greenpeace.de/klimaschutz/klimakrise/ursache-wirkung-ozonlochs
8) https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/treuhand/fckw-freier-kuehlschrank100.html

Weiterführende Informationen:
Zur Verringerung des Nährstoffeintrags aus landwirtschaftlichen Flächen gibt es beim MDR einen interessanten Artikel (abgerufen am 15.04.2024):
zum Beitrag „Landwirtschaft: Weniger düngen, weniger Lebensmittelsicherheit?“

Bildnachweis:
Titelbild: Image by Wolfgang Ehrecke from Pixabay
Abb. 2: CRM, Kristina Schulze-Böttcher
Abb. 3: Image by Sadie from Pixabay
Abb. 4: Image by Angela from Pixabay

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