Bio-Klebstoffe aus dem Meer

Unter der Meeresoberfläche gibt es eine verborgene Welt voller Überraschungen, wo Seepocken, Miesmuscheln und Seetang eigene Klebstoffe herstellen, die sogar die Medizin inspirieren.

Seepocken: Die Superkleber des Meeres

Seepocken sind Krebstiere, die, sobald sie aus dem Larvenalter raus sind, keine Lust mehr auf das Schaukeln im Freiwasser haben und auf Felsen, Schiffen, Hafenpfählen und sogar an Walflossen mit Hilfe ihres Superklebers sesshaft werden. Selbst Tiden und Stürme können den auch Seepockenzement genannten Kleber nicht knacken. Das Seepockenkleber-Rezept ist echt clever und funktioniert etwas vereinfacht so, dass spezielle Drüsen der Seepocke einen Zweikomponentenkleber aus einer ölartigen Matrix und einem Multiprotein-Komplex in den schmalen Spalt zwischen Schale und Untergrund abgeben. Die ölige Komponente verdrängt Wasser und schleimig-glitschige Verunreinigungen von der Zieloberfläche und ermöglicht dadurch den Klebeproteinen eine bombenfeste Quervernetzung mit dem maritimen Traum-Substrat (1, 2).

Seepocken

Miesmuscheln: Schöne Schale und klasse Kleber

Nicht nur schön, sondern auch gesellig sind die Miesmuscheln. Damit das bei Sturm und Strömung so bleibt, vernetzen sie sich mit ihren genialen Byssus-Klebefäden zu Muschelbänken und hängen auch zusammen in inniger Verklebung an Hafenmauern herum. Auch der Miesmuschelkleber besteht hauptsächlich aus Proteinen, deren Klebepower mit einer einzigartigen Aminosäure, DOPA (3,4-Dihydroxyphenylalanin), und durch Eisen-Ionen zur Vernetzung optimiert wird (3). Damit nicht der Eindruck entsteht, dass Miesmuscheln nur schön und völlig verklebt herumhängen, will ich hier noch erwähnen, dass sie auch einen wirklich wichtigen Job zur Reinhaltung des Meeres haben und dabei pro Muschel beeindruckende 2 Liter Meerwasser pro Stunde filtrieren können (4).

Miesmuscheln

Miesmuscheln von der Meeresfarm

Seetang: Kleben wo andere Urlaub machen

Auch Seetang bleibt gerne da, wo es am schönsten ist. Anders als bei Miesmuscheln und Seepocken besteht der Algen-Kleber aber hauptsächlich aus langkettigen und teilweise sulfatierten Zuckermolekülen, die sich mit Hilfe von Metall-Ionen aus dem Meerwasser vernetzen. Über dieses sogenannte Cross-Linking stellen sie eine feste Verankerung auf Steinen und anderen festen Oberflächen auf dem Meeresgrund her (5). Moment, werden jetzt die Küstenkenner sagen, wieso liegt denn der ganze Strand nach Sturm voll mit Seetang? Das sind dann entweder die abgerissenen blattartigen sogenannten Thalli, oder der Tang hat einfach Pech bei der Platzwahl gehabt und einen zu kleinen Stein besiedelt wie der Sägetang auf dem Foto. Der Seetang-Kleber ist vielleicht auch nicht der stärkste im Ökosystem. Da er anders und komplett vegan ist, verdient er für mich trotzdem einen Ehrenplatz unter den Bio-Klebern.

Sägetang

Transfer in die Medizin

Es blieb natürlich nicht lange verborgen, dass unter Wasser, wo Seepocken, Muscheln und Seetange so gut kleben, alles ähnlich nass und schleimig ist wie im menschlichen Körper. Die Arten haben also genau die Art Kleber, die Ärzte brauchen könnten, um z. B. mit komplizierten Blutungsproblemen im Körper fertigzuwerden. Ein Forscherteam vom renommierten Massachusetts Institute of Technology hat die Idee dann auch schnell aufgegriffen und eine bioinspirierte Klebe-Paste nach dem Prinzip Seepocke entwickelt (6). Die ersten Versuche im Organismus verliefen sehr erfreulich. Der Kleber konnte da eingesetzt werden, wo Nadel und Faden nicht hinkommen. Auch an unregelmäßig geformten Wunden, an unzugänglichen Stellen, zeigte der neue Kleber in ersten Experimenten seine blutstillende Wirkung. Und nach der Wundheilung ist das Ganze auch noch komplett biologisch abbaubar. So zeigt sich wieder einmal, dass die Erforschung unserer Meeresumwelt mit all ihren Arten und biologischen Prozessen nicht nur interessant, sondern auch richtig nützlich sein kann.

Literatur:

1. Khandeparker & Anil. Underwater Adhesion the Barnacle Way. International Journal of Adhesion and Adhesives 27, 165–172 (2007).
2. Gan et al. Adhesive Materials Inspired by Barnacle Underwater Adhesion: Biological Principles and Biomimetic Designs. Front. Bioengineering and Biotechnology. 10: 870445 (2022)
3. Heather et al. Understanding Marine Mussel Adhesion. Marine Biotechnology 9, 661-681 (2007)
4. https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/sonstige-arten/weichtiere/24351.html
5. Dimartino et al. Microscopic and Infrared Spectroscopic Comparison of the Underwater Adhesives produced by Germlings of the Brown Seaweed Species Durvillaea antarctica and Hormosira banksii. J. Royal Society Interface 13: 20151083 (2016)
6. Yuk et al. Rapid and Coagulation-Independent Haemostatic Sealing by a Paste Inspired by Barnacle Glue. Nat. Biomed. Eng. 5(10), 1131–1142 (2021)

Bildnachweis:

Titelfoto: Nikolas Linke, alle anderen Fotos: Martina Mühl

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