Von den Bergen bis ins Meer – wie Eutrophierung unsere Landschaft prägt
Die Überdüngung oder „Eutrophierung“ ist in unserer Landschaft allgegenwärtig, aber… kaum jemand merkt es! Deshalb will ich in diesem Beitrag an ein paar Beispielen aufzeigen, wo man in unserer Landschaft die Spuren der Eutrophierung sehen kann. Denn man kann sie sehen, und zwar von den höchsten Bergspitzen bis ins Meer.
Aber bevor ich anfange, eine kurze Erklärung, was Eutrophierung überhaupt ist: In der Landwirtschaft wird Dünger eingesetzt, um das Wachstum der Nutzpflanzen zu steigern. Wichtige Elemente des Düngers sind z. B. Stickstoff und Phosphor. Diese Nährstoffe werden von den Pflanzen für das Wachstum benötigt und deshalb auf die Felder ausgebracht. Ein Teil der ausgebrachten Nährstoffe wird von den Nutzpflanzen aber nicht aufgenommen, weil sie z. B. mit dem Regenwasser vom Acker gewaschen oder vom Wind vom Acker getragen werden. So gelangen sie über das Wasser und die Luft in die restliche Landschaft. Ein Großteil der dort wachsenden wilden Pflanzen braucht aber weit weniger Nährstoffe zum Wachsen, als über das Wasser und die Luft von den landwirtschaftlichen Flächen in die Natur gelangen. Man spricht deshalb davon, dass die Lebensräume „überdüngt“ sind, der Fachausdruck für diese Überdüngung ist „Eutrophierung“. Die Eutrophierung der natürlichen Lebensräume wird an vielen Stellen zum Problem, denn die natürlichen Artzusammensetzungen verändern sich durch die zusätzlich vorhandenen Nährstoffe. Wie sich das bemerkbar macht, erkläre ich euch im Folgenden anhand von ein paar sehr bekannten Lebensräumen.
Inhaltsverzeichnis
Eutrophierung in den Bergen
Die höheren Lagen der Alpen sind durch eine einzigartige Flora geprägt, hier finden sich viele speziell angepasste Pflanzenarten. Die meisten dieser Arten sind an extrem niedrige Nährstoffkonzentrationen im Boden angepasst. Durch die Eutrophierung kommen z. B. über die Luft auch in den höheren Lagen immer mehr Nährstoffe an. Das führt dazu, dass sich dort Pflanzenarten ausbreiten, die an höhere Nährstoffkonzentrationen angepasst sind. Diese verdrängen die eigentlich hier vorkommenden Arten. Dadurch verschwindet langsam die einzigartige Bergflora.
Algenwachstum in Flüssen
Flüsse sind ein vielfältiger Lebensraum mit einer Menge interessanter Arten. Am besten bekannt sind wahrscheinlich die Fische, beispielsweise Hecht, Wels und Lachs. Manche Fischarten der Flüsse haben in den letzten Jahrzehnten stark in ihrer Häufigkeit abgenommen und sind entsprechend gefährdet. Die meisten dieser Arten haben eine Sache gemeinsam: Sie sind Kieslaicher, z. B. Barben und Lachse. Und hier kommt die Eutrophierung ins Spiel. Die Kieslaicher legen ihre Eier zwischen die Kiesel im flachen, schnell durchströmten Wasser. Dort schlüpfen auch die Larven und entwickeln sich über die ersten Lebenswochen (Abb. 1). Der Vorteil einer Kinderstube zwischen Kieseln ist, dass im schnell strömenden Wasser reichlich Sauerstoff vorhanden ist, den die Larven dringend brauchen, vor allem da sie noch keine voll ausgebildeten Kiemen besitzen. Aufgrund der Überdüngung der Flüsse wachsen die Algen deutlich stärker als früher. Sie sinken in die Lücken zwischen den Kieseln und verrotten. Das führt dazu, dass dort kleinräumig der Sauerstoff aufgezehrt wird und der eigentlich sauerstoffreiche Lebensraum zwischen den Kieseln für die Jungfische zur Falle wird, in der sie nicht genug Sauerstoff zum Überleben vorfinden.
Badeverbot in Seen
Eine Folge der Überdüngung in Seen ist, dass bestimmte Algen stärker wachsen als früher. Besonders bekannt sind die Blaualgen. Da sie Gifte produzieren, sollte man bei Massenauftreten dieser Arten auf keinen Fall schwimmen gehen. Das heißt, die Überdüngung führt am Ende dazu, dass das Baden verboten wird, weil zu viele giftige Algen im Wasser wachsen. In Gegenden ohne Eutrophierung tritt dieses Problem nicht auf. Auch die sogenannte „Entengrütze“ (eigentlich eine Wasserpflanze, die „Kleine Wasserlinse“) nimmt durch den hohen Nährstoffgehalt überall zu (Titelbild und Abb. 2). Weil die Kleine Wasserlinse teilweise die gesamte Oberfläche von Gewässern bedeckt, können die eigentlich heimischen Wasserpflanzen unter dieser Decke nicht mehr leben.
Über Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem spricht Ruth mit Prof. Schulz im Podcast:
Mit Algen überdüngte Seen retten – wie geht das?
Überdüngung auf Wiesen
Auf Wiesen sorgen die zusätzlichen Nährstoffe dafür, dass sich die an hohe Nährstoffgehalte angepassten Arten durchsetzen und die an niedrige Nährstoffgehalte angepassten Arten verdrängt werden. Dies führt dazu, dass sich nur einige wenige Blumenarten und vor allem viele Gräser durchsetzen, während sehr viele Blumenarten zurückgehen. Nicht überdüngte Wiesen sind deshalb auch viel bunter als gedüngte Wiesen. Die klassische „grüne Wiese“ ist eigentlich bereits ein Produkt der Überdüngung, nicht überdüngte Wiesen sind eher bunt als grün (wobei hier neben der Menge an vorhandenen Nährstoffen auch die Anzahl der Mahdvorgänge eine Rolle spielt: Wenn zu häufig gemäht wird, können sich meist auch nur noch Gräser auf einer Fläche halten, weil die Blumen gar nicht dazu kommen Samen zu bilden und sich zu vermehren).
Ich selbst bin in meiner Kindheit im Mittelgebirge vor allem zwischen Wiesen voller Löwenzahn aufgewachsen, die ich für sehr schön und auch natürlich bzw. naturnah hielt. Mittlerweile weiß ich, dass starke Löwenzahnvorkommen ein Indiz für die Überdüngung der Landschaft sind und es auf den von mir beschriebenen Wiesen eigentlich andere Arten geben müsste (Abb. 3). Diese Arten kommen dort aber durch die zusätzlich vorhandenen Nährstoffe aus der Landwirtschaft schon nicht mehr vor, weil sie, z. B. durch den Löwenzahn, verdrängt wurden. Löwenzahnwiesen sind zwar schön, aber kein Zeichen für eine intakte Natur, sondern eher für eine bereits deutlich überdüngte Landschaft.
Grüne Baumstämme in Wäldern
Über die Luft kommen die Nährstoffe auch in unseren Wäldern an, und das kann man sehen: Der für das deutsche Flachland und Mittelgebirge typische Buchenwald ist eigentlich durch seine silbergrauen Stämme bekannt, die wie antike Säulen die hohen, hallenartigen Wälder schmücken. Vor allem an den Rändern der Wälder, die an Agrarflächen angrenzen, sind die Stämme aber mittlerweile nicht mehr silbergrau, sondern grün. Das liegt daran, dass sich an den Stämmen Algen ansiedeln. Je mehr Nährstoffe in der Luft unterwegs sind, umso besser wachsen die Algen. Wenn Du also in Zukunft einen grünlichen Baumstamm siehst, weißt Du, dass er wahrscheinlich durch die Überdüngung so grün ist.
Algen und Flechten an Gebäuden
Das Gleiche wie für die Baumstämme gilt auch für Hauswände. Wären nicht so viele Nährstoffe in der Luft unterwegs, würden weitaus weniger Algen an Hauswänden wachsen … und die Fassaden sähen definitiv schöner aus. Bei uns in Kiel wurde vor kurzem eine große neue Schwimmhalle eingeweiht. Die Fassade des Gebäudes zeigte innerhalb von zwei Jahren großflächig grüne Spuren, auch das ist ein Effekt der Überdüngung. Neben den Algen breiten sich durch die Eutrophierung auch bestimmte Flechtenarten aus (Flechten sind eine Symbiose aus Pilz und Alge und wachsen ebenfalls gerne auf Bäumen, Felsen und Hauswänden). Besonders die Gewöhnliche Gelbflechte (Abb. 4) nimmt durch die Eutrophierung überall zu, während andere Flechtenarten abnehmen. Wenn man einmal darauf achtet, kann man die Gewöhnliche Gelbflechte schnell überall an Hauswänden, auf Mauern und an der Rinde von Büschen und Bäumen finden.
Tote Zonen im Meer
Über die Flüsse gelangen die Nährstoffe ins Meer, wo man sie auch nicht so leicht wieder herausbekommt. Durch die reichlich vorhandenen Nährstoffe wachsen vor allem kleinere Algen sehr schnell und es kommt zu gewaltigen Algenblüten (Abb. 5). Diese Algenblüten kann man teilweise sogar aus dem Weltraum sehen. Manche der sich sehr schnell vermehrenden Algen sind giftig („Blaualgen“). Wenn diese Algen blühen, kommt es zu Badeverboten (ähnlich wie in den überdüngten Seen). Wenn die Algen absterben, sinken sie auf den Meeresgrund und werden dort von Bakterien abgebaut, ähnlich wie Pflanzenmaterial, das man auf den Komposthaufen wirft. Dabei wird Sauerstoff verbraucht. Das führt wiederum dazu, dass es in den tieferen Bereichen der Meere dann manchmal gar keinen Sauerstoff mehr gibt und sogenannte tote Zonen entstehen, in denen keine Tiere mehr leben können. Manchmal kommt es aufgrund der toten Zonen zu Massensterben von Fischen, Seesternen etc.
Anhand dieser Beispiele wird klar, dass Eutrophierung in unseren natürlichen Lebensräumen zu vielen, teilweise folgeschweren Veränderungen führt. Gleichzeitig ist unsere Landwirtschaft aktuell ohne den Einsatz von Dünger nicht denkbar. Es handelt sich also um ein sehr komplexes Problem, das sich nicht leicht lösen lässt. Ein paar Vorschläge habe ich in diesem Artikel zusammengetragen:
Eutrophierung – ein „wicked problem“ des Umweltschutzes
Wenn man direkt etwas gegen die Überdüngung tun will, sollte man weniger Lebensmittel konsumieren, die einen hohen Düngemitteleinsatz benötigen (v. a. Fleisch). Außerdem sollte man wissen, dass bio-zertifizierte Produkte unter deutlich geringerem Düngemitteleinsatz produziert werden, als nicht bio-zertifizierte Lebensmittel. Deshalb sind die Bio-Kohlköpfe auch kleiner als die Nicht-Bio-Kohlköpfe …
Ich hoffe, dass der Beitrag dazu einlädt, die Landschaft mit anderen Augen wahrzunehmen. Aber selbst, wenn man die Spuren der Überdüngung überall sieht, ist die Natur immer noch etwas Wunderbares und selbst in ihrer stark menschlich überprägten Form schön und schützenswert.
Bildnachweis:
Titelbild: Image by HardyS from Pixabay
Abb. 1: Line Knipst auf Pexels
Abb. 2: Image by Robert Jones from Pixabay
Abb. 3: photokip.com auf Pexels
Abb. 4: Image by Gernot from Pixabay
Abb. 5: Image by Tom from Pixabay
- Über die Autorin | Über den Autor
- Letzte Beiträge
Moin, mein Name ist Rafael Meichßner und ich arbeite als Meeresbiologe bei CRM (Coastal Research & Management), der Mutterfirma von oceanBASIS. Thematisch befasse ich mich vor allem mit dem Anbau von Algen und deren Nutzung. Hier im Blog schreibe ich aber auch zu anderen Themen, die mir auf dem Herzen liegen, z. B. Umweltschutz, Artenvielfalt und Ökologie.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!