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Weißschimmel auf Brie Käse

Im Gegensatz zum fünften Geschmack “Umami” ist “Kokumi” kein eigenständiger Geschmack, sondern eine Geschmacksempfindung, die gern genutzt wird, um das Geschmackserlebnis abzurunden. Auch in Algen findet man die dafür verantwortlichen Stoffe.

Was ist “Kokumi” nun genau?

Wie “Umami” stammt der Begriff “Kokumi” aus Japan. Die wörtliche Übersetzung aus dem Japanischen lautet: »reicher (koku) Geschmack (mi)«.

Während der Umami Geschmack (→ Artikel “Umami – der fünfte Geschmack”) vorwiegend durch freies Glutamat erzeugt wird, ist Kokumi kein eigenständiger Geschmack, da es im Mund keine sensorischen Rezeptoren gibt, die bei Aktivierung ein Nervensignal an das Gehirn senden. Stattdessen beschreibt Kokumi das Phänomen, dass bestimmte Substanzen zwar nicht selbst schmecken, aber Speisen sensorisch verändern. Das führt zu einem vollmundigen und vielschichtigen Geschmackserlebnis.

Enthält eine Speise eine sowohl Umami- als auch Kokumi-basierende Würze, dann entsteht im Mund das, was häufig mit „Geschmacksexplosion“ bezeichnet wird.

Schemo zu Geschmacksempfindung, Umami und Kokumi

Wie kommt Kokumi zustande?

Die Rezeptoren aus der Gruppe Calcium-Rezeptoren (CaSR) binden Calciumionen und verstärken die Sinneseindrücke Umami, süß und salzig.

Weiterhin sind vor allem Gamma-Glutamylpeptide (auch γ-Glutamilpeptide) für den Kokumi-Effekt verantwortlich. Das sind kurze Proteinbruchstücke aus zwei bis drei Aminosäuren mit einer Glutaminsäure an einem Ende. Allerdings muss zunächst die übliche alpha–Peptidbindung enzymatisch in eine gamma-Peptidbindung geändert werden, um Kokumi auszulösen. Die Bruchstücke entstehen durch den enzymatischen Abbau (Hydrolyse) von Eiweißen (Protein) wie z. B. Fleisch oder Sojabohnen und werden durch Fermentation mithilfe von Mikroorganismen verstärkt gebildet. Dies gilt jedoch nicht für die Milchsäuregärung oder alkoholische Gärung, da bei diesen Zucker als Ausgangsstoff genutzt wird.

Beim Gulasch, der würzigen Bolognesesauce oder dem deftigen Erbsen-, Linsen- oder Bohneneintopf entstehen die Peptide durch die lange Garzeit oder wiederholtes Aufkochen.

Das “vollmundige” Aroma kann aber auch bei Pfifferlingen, getrockneten Tomaten, reifem Käse oder auch Rotwein wahrgenommen werden. Daher werden sie gern zum “Abrunden” für “herzhafte” oder “deftige” Speisen verwendet.

Das japanische Geheimnis für einen abgerundeten Geschmack ist ein Dashi, das mit den Kokumi-Zutaten Sojasoße, Miso oder Mirin ergänzt wird (→ Artikel  “Dashi – das Geheimnis der japanischen Küche”).

Kokumi-reiche Speisen erhält man somit durch:

  • eiweißreiche Nahrungsmittel wie Fisch, Fleisch, Linsen, Bohnen, Soja, Pilze
  • langes Garen (thermische Zersetzung von Proteinen)
  • Fermentation (enzymatische Hydrolyse von Proteinen zu Peptiden)
  • Zusatz von Edelschimmelkulturen

Die Edelschimmelkulturen durchsetzen das (meist getrocknete) Lebensmittel und bauen die Eiweißbestandteile ab. In der Lebensmittelherstellung verwendete Edel-Schimmelpilze sind zum Beispiel:

  • Tempeh: Rhizopus oligosporus
  • Sojasauce: Aspergillus oryzae
  • Gorgonzola, Roquefort: Penicillium roqueforti
  • Camembert, Brie: Penicillium camemberti
  • Edelweine: Botrytis cinerea
  • Salami, Schinken: Penicillium nalgiovense
  • Kōji (zur Herstellung von Miso, Sake, Mirin, Natto): Aspergillus oryzae, Aspergillus sojae, Aspergillus luchuensis

Internationale Küche

Neben den in der guten Küche unverzichtbaren Fonds oder dem japanischen Dashi sind Produkte wie Parmesan („Pasta-Gewürz“), Knoblauch und Zwiebel, getrocknete und pulverisierte Pilze oder getrocknete Tomaten eine beliebte Methode, um Speisen geschmacklich aufzuwerten..

Es gibt in der internationalen Küche eine Vielzahl von Rezepten, die auf der Kombination von Umami und Kokumi basieren, vor allem Würzmittel (z. B. “Vegeta” aus Kroatien oder “Maggi Würze” aus der Schweiz), Würzsaucen wie z. B. italienisches Pesto, französische Tapenade, spanische Salsa, indisches Chutney oder Relish, englische Worcestersauce oder die asiatischen Umami-Pasten.

Parmesan ist – wie andere reife Hartkäse – ein Klassiker unter den Würzmitteln, da er fast doppelt so viel proteingebundene Glutaminsäure enthält wie jedes andere Lebensmittel. Während der Fermentierungsprozess bei Suppen, Eintöpfen und Saucen Kokumi freisetzt, wird bei Käsesorten durch den Reifungsprozess oder den Zusatz von Edelschimmel das Eiweiß zu den Kokumi-bildenden Eiweißbruchstücken abgebaut. Die Konzentrationen von Glutamyl-Peptiden nehmen in Käsesorten erwartungsgemäß mit zunehmendem Reifegrad zu. Die Zugabe von Blau- und Weißschimmelkulturen verstärken die Peptidkonzentrationen deutlich – auch bei kürzeren Reifezeiten.

Moderne Food-Designer setzen auch Umami und Kokumi inzwischen für ihre Kreationen ein. Dabei entstehen solch ungewöhnliche Kompositionen wie der Espresso Martini mit fein geriebenem Parmesan oder der Benton’s Old Fashioned, der mit krossem Bacon gereicht wird.

Würzige Zutaten und Algen in der Küche

Shio Koji: Wunderpaste für die Küche

Shio Kōji ist eine Wunderpaste, mit der sich Lebensmittel “verwandeln” lassen. Sie wird aus Reis hergestellt, der mit Sporen des Pilzes Aspergillus oryzae beimpft wird. Da die Paste lebenden Pilz enthält, kann dieser auf ein neues “Substrat” wie Fleisch oder Gemüse aufgebracht werden. Seine Enzyme zersetzen die Grundlage, wodurch sie würzig und weicher wird. Shio Kōji selbst hat einen milden, salzigen und relativ unspektakulären Geschmack.

Zum Marinieren wird eine dünne Schicht Shio Kōji auf Fleisch, Fisch oder Gemüse wie Auberginen, Zucchini oder Pilze aufgetragen. Anschließend lässt man es für einige Stunden oder Tage im Kühlschrank einwirken. Bei weichem Gemüse können bereits 15 – 30 Minuten ausreichen. Anschließend wird die Zutat auf übliche Weise zubereitet. Du wirst erstaunt sein, wie intensiv, saftig oder zart Dein Gericht nach der Behandlung schmeckt. Beim Marinieren können die Lebensmittel zusätzlich mit Algenflakes (→ Artikel “Algen essen leicht gemacht”) bestreut werden.

Shio Kōji ist reich an probiotischen Kulturen, Enzymen und Vitaminen, welche sich positiv auf die Verdauung und damit auf die Haut auswirken (→ Artikel “Die Haut ist ein Spiegelbild des Darms.”).

Warum sind Sellerie und Liebstöckel ebenfalls Geschmacksverstärker?

Sellerie enthält selbst keine geschmacksgebenden Stoffe, seine flüchtigen Bestandteile, wie die destillierbaren Phtalide, erzeugen durch die Aktivierung von Rezeptoren in der Nase eine Geschmacksintensivierung, ohne dabei selbst einen Geschmack zu erzeugen. Verkostet man die mit dem Sellerie-Destillat angereicherten Speisen mit verschlossener Nase, bleibt die geschmackliche Verstärkung aus.

Liebstöckel, das auch unter dem Namen “Maggikraut” (jedoch nicht in der gleichnamigen Flüssigwürze enthalten) bekannt ist, wird in Frankreich auch als “falscher Sellerie” bezeichnet. Das Küchenkraut aus der Familie der Doldenblütler enthält wie der Sellerie starke Duftnoten, die den Geschmack durch Reizung der Geruchsrezeptoren verstärken. Im Gegensatz zum Sellerie sind dafür die flüchtigen Stoffe Ligustilid und Sotolon verantwortlich. Der kräftige Eigengeschmack von Liebstöckel basiert – wie bei den meisten Gewürzpflanzen aus der Familie der Doldenblütler (Kümmel, Kerbel, Fenchel, Anis, Petersilie, Koriander) – auf ätherischen Ölen.

Algen und Kokumi

Viele Algen enthalten Inhaltsstoffe, die mit dem Kokumi-Effekt in Verbindung gebracht werden:

  • Peptide und Aminosäuren, z. B. Glutathion (γ-Glu-Cys-Gly) und γ-Glutamylpeptide (wie γ-Glu-Val-Gly), die bekannte Kokumi-Substanzen sind.
  • Mineralien, die die CaSR-Rezeptoren ansprechen.
  • Umami-Verbindungen wie Glutaminsäure und Nukleotide (z.  B. Inosinmonophosphat – IMP), die synergistisch mit Kokumi wirken.

Somit sind Algen eine großartige Zutat zum Kochen, Backen, Marinieren oder für Kaltspeisen, da sie sowohl Umami- als auch Kokumi-Noten beisteuern (→ Artikel “Gesund, nachhaltig, regional: Algenküche im Fokus”).

bunter Algen Flakes Mix mit Pasta und Gewürzen

Algenspezies mit Kokumi-Potenzial

Die Braunalge “Kombu” oder “Zuckertang” (Saccharina japonica; KRAFTPAKET) ist reich an Glutaminsäure und γ-Glutamylpeptiden. Sie wird traditionell zur Herstellung von Dashi verwendet, welches für sein tiefes und fülliges Aroma als Suppengrundlage geschätzt wird. Auch die Braunalgen Wakame (Undaria pinnatifida) und Hijiki (Sargassum fusiforme) sind reich an Aminosäuren mit kokumiartiger Wirkung.

Die Rotalge “Dulse” (Palmaria palmata; HERZBLUT) enthalten relevante Peptide. Vermutlich basiert darauf auch der interessante Effekt, dass in der Pfanne geröstete Dulse-Flakes ein aromatisches “Speck-Aroma” entwickeln können.

ergänzende Literatur:
Diese Studien unterstützen die Annahme, dass bestimmte Algenarten durch ihre spezifischen Peptid- und Aminosäureprofile den Kokumi-Geschmack in Lebensmitteln verstärken können:
„Fractionation and identification of antioxidant peptides from an enzymatic hydrolysate of the red seaweed Palmaria palmata“ ,
“pH-Dependent Extraction of Antioxidant Peptides from Red Seaweed Palmaria palmata: A Sequential Approach”

Bildnachweise:
Titelbild von Karolina Grabowska auf Pexels.com
Grafik „Geschmacksempfindung“ von Thorsten Walter, oceanBASIS GmbH
Fotos mit Meeresgarten „Glücksgriff“ von oceanBASIS GmbH